Ein neuer Blick auf das Magnetfeld der Sonne

Die Sonne im extrem ultravioletten Licht bei einer Wellenlänge von 17.1 nm. Die bogenförmigen Strukturen entstehen durch einige Millionen Grad heißem Gas, das im Magnetfeld gefangen ist und so die Feldlinien nachzeichnet. Quelle: NASA SDO/AIA
Die Sonne im extrem ultravioletten Licht bei einer Wellenlänge von 17.1 nm. Die bogenförmigen Strukturen entstehen durch einige Millionen Grad heißem Gas, das im Magnetfeld gefangen ist und so die Feldlinien nachzeichnet. Quelle: NASA SDO/AIA

von Prof. Dr. Manfred Schüssler


Das Magnetfeld der Sonne verursacht die vielfältigen Phänomene der Sonnenaktivität. Erzeugt wird dieses Magnetfeld durch Strömungen des elektrisch leitenden Gases im Sonneninnern. Wie dieser Prozess jedoch im Einzelnen funktioniert, ist umstritten. Nun sind Robert Cameron und Manfred Schüssler vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung der Lösung dieses Rätsels einen wesentlichen Schritt näher gekommen. In einer Arbeit, die im Wissenschaftsmagazin "Science" am 20.3. 2015 erschien, berichten sie, dass der Dynamomechanismus allein durch die an der Oberfläche der Sonne beobachtbaren Magnetfelder erschlossen werden kann.

Die Sonne ist ein unruhiger Stern: dunkle Flecken erscheinen und vergehen, riesige Bögen aus heißem Gas ragen weit über ihre sichtbare Oberfläche hinaus, in heftigen Eruptionen werden Gasmassen in den interplanetaren Raum geschleudert und Elementarteilchen auf hohe Energien beschleunigt. Die Ursache für die vielfältigen Erscheinungen dieser Sonnenaktivität ist das Magnetfeld der Sonne: Energie aus den heftigen Strömungen des elektrisch leitfähigen Gases nahe der Oberfläche wird auf das Magnetfeld übertragen, in

höhere Schichten der Sonnenatmosphäre kanalisiert und dort in "magnetischen Kurzschlüssen" explosionsartig freigesetzt. Bei all dieser Dynamik zeigt das Magnetfeld der Sonne jedoch auch bemerkenswerte Regelmäßigkeit. So schwankt die magnetische Aktivität mit einer Periode von etwa 11 Jahren, während derer sich auch die Richtung des allgemeinen Dipolfeldes an den Sonnenpolen zyklisch umkehrt.

 

Die Ursache des Magnetfeldes wird seit langem in einem Dynamomechanismus vermutet, bei dem die ungleichmäßig Rotation der Sonne eine entscheidende Rolle spielt: an ihrem Äquator rotiert die Sonne um etwa 30% schneller als an den Polen. Man geht davon aus, dass dieses ständige Verschrauben die Magnetfeldlinien quasi aufwickelt und so im

Sonneninneren ein starkes „toroidales“ Feld in Ost-West-Richtung erzeugt. Dieses Feld bricht dann in Schleifen durch die Oberfläche, wo es sich beispielsweise in Form von Sonnenflecken zeigt. Wie es aber zu den regelmäßigen Umpolungen und dem 11-jährigen

Aktivitätszyklus kommt, ist nicht klar. Es gibt zwar eine Reihe von theoretischen Modellen, die dies erklären können, aber alle basieren auf Annahmen über turbulente Strömungen und Vorgänge im Sonneninnern, die der direkten Beobachtung entzogen sind.

 

In ihrer Arbeit verwendeten Robert Cameron und Manfred Schüssler ein mathematisches Theorem, das der irische Mathematiker und Physiker George Gabriel Stokes im 19. Jahrhundert bewies. Mit seiner Hilfe konnten sie zeigen, dass das toroidale Magnetfeld im Sonneninnern allein durch das Aufwickeln der Felder an der Sonnenoberfläche, insbesondere des Dipolfeldes an den Polen, erzeugt wird. Diese Felder kann man direkt

beobachten und ihre Entwicklung als Folge ebenfalls beobachtbarer

Oberflächenströmungen verstehen. Folglichfinden damit die wesentlichen Vorgänge des Sonnendynamos praktisch vor unseren Augen, beziehungsweise unseren Teleskopen, statt.

 

Welche der konkurrierenden theoretischen Vorstellungen wird nun durch diese neuen Erkenntnisse bestätigt? Interessanterweise ist es einer der ältesten Ansätze für den Sonnendynamo, nämlich das von amerikanischen Astrophysikern Horace Babcock und Robert Leighton vor mehr als 50 Jahren vorgeschlagene Modell. Danach ist es die Verteilung des in großen Sonnenfleckengruppen erscheinenden Magnetfeldes und die

differentielle Rotation, die den 11-jährigen Zyklus und die regelmäßige Umpolung des allgemeinen Dipolfeldes bewirken. Die neue Arbeit von Cameron und Schüssler fügt diesem Modell einen tragenden Baustein hinzu, auf dessen Basis nun auch Vorhersagen über die zu erwartende Stärke des jeweils nächsten Aktivitätszyklus gemacht werden können. Natürlich sind damit zwar noch nicht alle Details des Sonnendynamos erklärt, aber das Grundgerüst für ein physikalisches Verständnis ist nunmehr errichtet.

 

Bild: Solar Dynamics Observatory/Atmospheric Imaging Assembly